Autor: Peter Fellner
Über 100 Menschen starben bei einem Zugunglück in Japan im April 2005, weitere 500 wurden verletzt. Der Zugführer versuchte, einen Fehler zu verschleiern, den er kurz zuvor gemacht hatte: In einer Station musste er nochmals zurücksetzen, da er den Haltepunkt überfahren hatte. Um die darauf entstandene 90 Sek. Verspätung aufzuholen, fuhr er mit weit überhöhter Geschwindigkeit in eine Kurve – der Zug sprang aus den Schienen.
Ein persönlicher Fehler des Zugführers, oder? Tatsächlich steckte mehr dahinter: Denn beim Bahnunternehmen wurde mit drastischen Mitteln darauf geachtet, Verspätungen zu vermeiden. Betroffene Fahrerinnen und Fahrer wurden strafweise 13 Tage „nachgeschult“ (= Aufsätze schreiben), gedemütigt, versetzt, gekündigt.
Fehler zu verschleiern führt immer wieder zu Katastrophen – manchmal schnell und unerwartet, meist aber schleichend. Dahinter steckt oft die Angst vor Sanktionen, wenn Fehler auffliegen. Und dahinter steckt eine misslungene Fehlerkultur. Eine solche herrscht leider in zu vielen Unternehmen.
U.a. geht es um die Frage, ob Unternehmen eher versuchen, perfekt zu erscheinen. Oder aber in der Lage sind, sich kontinuierlich in allen Dingen zu verbessern, um Perfektion anzustreben. Das sind 2 wesentlich unterschiedliche Haltungen.
Welche Haltung eine Organisation innehat, hat mit Haltungen und Werten der Führung zu tun:
Denn manche Managerinnen und Manager haben einen ungesunden Anspruch an sich selbst. Sie wollen perfekt sein oder zumindest so aussehen. Und das Nichteingestehen der eigenen, durchaus menschlichen Fehlerhaftigkeit führt oft zu einer unerfüllbaren Erwartungshaltung auch ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegenüber – Fehler dürfen nicht vorkommen und sie werden automatisch sanktioniert. Unabhängig davon, ob begangene Fehler ein Muster aufweisen, ob es systembedingte oder persönliche, ob es dumme oder intelligente Fehler (z.B. im Zuge eines Innovationsprozesses) sind. Solche Managerinnen und Manager tendieren dazu, sich mit Ja-Sagerinnen und Ja-Sagern zu umgeben – kritische Geister könnten ja ihr Selbstverständnis erschüttern. In einer solchen Umgebung werden Fehler gern unter den Teppich gekehrt und um Hilfe von Kolleginnen und Kollegen zu bitten wird als Schwäche ausgelegt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter scheuen Initiativen, um Abläufe und Prozesse aus eigenem Antrieb zu verbessern – denn es könnten ja Schwierigkeiten auftreten. Das Resultat ist absoluter Stillstand.
Umgekehrt Führungskräfte, die in der Lage sind, eigene Fehler offen anzusprechen, die wissen, dass sie selbst weder perfekt sind noch alles wissen. Diese entwickeln eine Kultur, wo gegenseitiges Vertrauen herrscht und Fehler als Lernchance begriffen werden. Teams, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter orientieren sich meist an Haltungen und am Verhalten ihrer Leitung. So vorgelebt werden sie in die Lage versetzt, „aus Fehlern klüger zu werden“. Dann steht weniger die Suche nach den Schuldigen sondern die Lösung und die zukünftige Verbesserung im Vordergrund. Nur in einer solchen Kultur ist es möglich, dass KVP-Prozesse (Kontinuierliche-Verbesserungs-Prozesse) die erwünschten Erfolge produzieren. In einer solchen Kultur sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Lage, Neues auszuprobieren und das unternehmerische Umfeld mitzugestalten. Sie zeigen bedeutend mehr Engagement.
Apropos Fehlervermeidung: Nicht alles, was im Moment als Fehler angesehen wird, ist auch langfristig eine Niederlage: So zB. die Entdeckung des Penizillins durch den späteren Nobelpreisträger Alexander Flemming, als er den Fehler machte, für einige Wochen auf eine Wachstumsschale zu vergessen.
Also, lasst uns Fehler öfter zugeben oder sogar feiern!